Stellungnahme zur Euthanasie
Andreas Näf, lic. phil. I und Europäischer Master für Angewandte Ethik der Universität Zürich. Mitglied des Vorstandes von Ja zum Leben Zürich
Die vor kurzem der Öffentlichkeit vorgestellte EU-Studie, an der sich sechs europäische Länder (Belgien, Dänemark, Holland, Italien, Schweden, Schweiz) beteiligten, stützt sich auf eine Umfrage bei Ärztinnen und Ärzten, die Sterbehilfe praktizieren. Die Untersuchung legt Daten und Fakten offen u.a. über die auch in der Schweiz angewendete illegale aktive Sterbehilfe (d.h. gezielte Lebensverkürzung des schwerstkranken Patienten, um ihn von seinen Schmerzen zu befreien) und über die in der Schweiz straflose Suizidbeihilfe (Bereitstellen oder Verabreichen eines tödlichen Medikaments, um dem Betroffenen die Selbsttötung zu ermöglichen).
Aktive Sterbehilfe mittels Verabreichung eines tödlich wirkenden Mittels durch den Arzt wird in der Schweiz jährlich bei 420 Patienten getätigt, davon bei 180 auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten hin, bei 240 Patienten ohne deren ausdrückliches Verlangen. Bei der Anzahl von Fällen legaler Suizidbeihilfe durch Sterbehilfeorganisationen steht die Schweiz an der Spitze aller untersuchten Länder; diese Form von Sterbehilfe kommt bei uns bei jedem hundertsten Todesfall zur Anwendung, also bei 0,4 % von rund 40000 Todesfällen im Jahr.
Zahlen in höchstem Masse erschütternd
Die aktive Sterbehilfe ist in der Schweiz strafbar, ungeachtet ob sie mit oder ohne Verlangen des Patienten erfolgt. Der Arzt handelt also immer gesetzeswidrig. Unfassbar ist vor allem das von der EU-Studie aufgedeckte Faktum, dass es Schweizer Ärzte gibt, die aktive Sterbehilfe praktizieren, ohne dass der Patient die Herbeiführung seines Todes ausdrücklich wünscht. Vor einigen Jahren wurde auch in der Schweiz mit Entsetzen zu Kenntnis genommen, dass ein staatlicher Bericht zutage gefördert hat, dass in Holland jährlich bei 900–1000 Patienten von Ärzten aktive Sterbehilfe geleistet wird, ohne dass die Betroffenen dies ausdrücklich verlangen. Nun ist diese Ungeheuerlichkeit auch bei uns – allerdings quantitativ in geringerem Masse, d.h. bei 240 Patienten jährlich – zur Realität geworden. Dies drängt den Schluss auf, dass wenn einmal aktive Sterbehilfe praktiziert wird, sie unweigerlich von der Freiwilligkeit (mit ausdrücklichem Einverständnis des Patienten) zur Unfreiwilligkeit (ohne ausdrücklichen Wunsch des Betroffenen) führt. Wir stehen also heute auch in der Schweiz vor der Tatsache, dass aktive Sterbehilfe (gefragt oder ungefragt) geleistet wird. Diese Art Sterbehilfe wurde indessen schon 1806 vom berühmten Arzt Christoph Wilhelm Hufeland als absolut inakzeptabel erachtet u.a. mit den Worten: » ……. denn ist einmal die Linie überschritten, glaubt sich der Arzt einmal berechtigt, über die Nothwendigkeit eines Lebens zu entscheiden, so braucht es nur stufenweise Progressionen, um den Unwerth und folglich die Unnützlichkeit eines Menschenlebens auch auf andere Fälle anzuwenden».
Der Arzt, der aktive Sterbehilfe leistet – sei es auch aus Mitleid – gerät in Widerspruch zu seinem Berufsbild. Traditionellerweise – schon gestützt auf den Eid des Hippokrates – wird im Arzt diejenige Person gesehen, die dem Patienten Heilung bringt und Schmerzlinderung verschafft, ihn aber nicht tötet. Das gezielte Herbeiführen des Todes eines Patienten beinhaltet auch stets eine Anmassung des Arztes, wenn er sich sozusagen als Herr über Leben und Tod aufspielt und den Entscheid fällt, dass das Leben dieses seines Patienten nicht mehr als lebenswert zu betrachten sei. Diesen Entscheid darf aber kein Mensch – dies gilt insbesondere für den Arzt – für sich herausnehmen, denn die Konsequenz der Handlung (der Tod eines anderen Menschen) ist irreversibel.
Die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung ist in der Schweiz selten. Sehr häufig hingegen sind die Fälle von Suizidbeihilfe, die von Sterbehilfeorganisationen wie EXIT und Dignitas durchgeführt werden. Dies verwundert nicht, ist doch die Beihilfe zur Selbsttötung, die nicht aus egoistischen Motiven erfolgt, bei uns erlaubt. Missbräuche bei der Suzidbeihilfe, besonders wenn diese Sterbehilfe nicht nur bei körperlich Kranken, sondern auch bei Menschen mit psychischen Leiden, denen in der Regel die Urteilsfähigkeit zur Einwilligung fehlt, geleistet wird, haben in den letzten Jahren landesweit Empörung hervorgerufen. Was die hohe Zahl von Beihilfen zur Selbsttötung betrifft: vor allem wegen der Tätigkeit von Dignitas hat der «Sterbe-Tourismus» markant zugenommen, was britische Medien veranlasste, Zürich als «Welthauptstadt der Euthanasie» zu bezeichnen. Abhilfe ist dringend nötig! Nur ein gesetzliches Verbot in dem Sinne, dass jede Suizidbeihilfe, auch die aus nicht selbstsüchtigen Motiven, bestraft werden muss, vermag die notwendige Rechtssicherheit zu schaffen in einem hochsensiblen Bereiche, in dem es um Leben und Tod von Menschen geht. Die Schaffung lediglich einer Missbrauchsregelung, z.B. wenn die Suizidbeihilfe unter bestimmten Kontrollmechanismen zulässig erklärt würde, hätte zur Folge, dass der Arzt in irgendeiner Weise (z.B. wenn er Gutachten zu erstellen hat) in die Suizidbeihilfe miteinbezogen würde, was sich mit seinem ärztlichen Auftrage nicht vereinbaren lässt. Dies sind die Hauptgründe, weshalb der parlamentarische Vorstoss von NR J. Alexander Baumann (SVP/TG) unsere volle Unterstützung verdient.
Förderung der Palliativbetreuung dringlich
Aktive Sterbehilfe und Suizidbeihilfe sind ethisch nicht vertretbar. Die Förderung einer umfassenden schmerzlindernden Betreuung schwerstkranker, Schmerzen leidender Patienten – ob alt oder jung – in Form von fachgerechter Palliativmedizin, Pflege und geistiger Begleitung (Palliative Care) muss unverzüglich an die Hand genommen werden, weil sie eine echte Alternative zur aktiven Sterbehilfe und Suizidbeihilfe darstellt. Erfahrungsgemäss verschwindet der Todeswunsch, wenn körperliche und seelische Qualen leidende Patienten in genügendem Masse palliativ betreut werden. Es ist begrüssenswert, dass eine auf NR Guido Zäch (CVP/ AG) zurückgehende ständerätliche Motion den Bundesrat aufruft, Massnahmen zur Förderung der Palliative Care in Zusammenarbeit mit den Kantonen zu ergreifen und dem Parlament einen Entwurf für gesetzliche Bestimmungen im Bereiche der Sterbehilfe vorzulegen.
Juli 2003